Kandidaten auf den Zahn gefühlt
Was bewegt eine Europaabgeordnete dazu ihren gut dotierten Posten in Staßburg und Brüssel gegen den harten Chefsessel im Rathaus tauschen zu wollen? Oder einen angesehen Arzt mit gut gehendem Versorgungszentrum? Immerhin ist die Stadt praktisch pleite, der Handlungsspielraum durch die Auflagen der Aufsichtsbehörde begrenzt. Diese und andere Fragen beantworteten die aussichtsreichsten Kandidaten beim „Polit-Talk“ im St. Gallusheim. Dabei stellten die beiden Interviewer – der katholische Pfarrer Dr. Udo Stenz und sein evangelischer Kollege Thomas Kiefer – auch mal unkonventionelle Fragen.
Wie sie es denn mit der Religion halten, war eine davon. „Ich gehöre zu den Menschen, die an Gott glauben, habe aber der Institution Kirche aus ganz persönlichen Gründen den Rücken gekehrt“, sagte Jutta Steinruck (SPD). Dennoch sei es ihr wichtig gewesen, ihren Sohn christlich zu erziehen. Dr. Peter Uebel (CDU), der aus der kirchlichen Jugendarbeit kommt, Messdiener war und schon im Pfarrgemeinderat saß, hatte es da leichter: „Aus diesem christlichen Fundament heraus mache ich Politik.“ Ob Politik denn ein glaubwürdiges Geschäft sei, war die nächste Frage. „Man muss nach der Wahl machen, was man vorher versprochen hat“, so Steinruck. Denn Vertrauen ist wichtig, und dazu muss man zu den Menschen gehen, ihnen zuhören, mit ihnen sprechen. „Politik, zumal im Kommunalen, muss aufrichtig sein und auch mal sagen, was nicht geht“, betonte Uebel. Unbequeme Wahrheiten auszusprechen sei eine Frage der Glaubwürdigkeit. Ansonsten seien sich Kirche und Politik ähnlich: Entscheidungen müssten transparent und nachvollziehbar sein, um akzeptiert zu werden. Als Arzt sei er „ganz nah dran“ am Alltagsleben der Menschen, erfahre ihre Sorgen und Nöte, beschreibt Uebel seine Motivation. Dabei sei er nicht mit der Parteibrille groß geworden, sondern „rein gerutscht“. Natürlich seien die Herausforderungen an der Stadtspitze groß und das Ansehen geringer als das eines Arztes. „Die großen anstehenden Aufgaben haben mich aber furchtbar gereizt“, so Uebel. Steinruck gab ab, auch im Europaparlament die Interesse ihrer Heimat vertreten zu haben. Ludwigshafen und die Pfalz lägen ihr am Herzen, doch die Stadt habe sich in den vergangenen Jahren nicht zum Positiven geändert. „Gute Ideen und Konzepte aus anderen Städten können helfen“, meint sie.
Wer als katholischer Pfarrer nach Ludwigshafen wechselt, bekomme von Kollegen schon mal ein „herzliches Beileid“ zu hören. Und wer im Hemshof spazieren gehe, bekomme schon mal den Müll vor die Füße gekippt, berichtete Stenz aus Erfahrung. Wie lässt sich hier das Bewusstsein in den Köpfen der Menschen ändern? Dort, wo Müll häufiger abgeholt wurde, kam noch mehr dazu, erklärte Uebel. Gezielte Aktionen wie in anderen Städten müssten den Urhebern vermitteln, dass sie andere belästigen. Und wenn alles nichts hilft, müsse konsequent sanktioniert werden. Jutta Steinruck plädiert für eine Wiederbelebung der Aktion Saubere Stadt mit deutlich höherer Beteiligung, auch von Schulen und Kindergärten.
In einem Atlas der 1970er Jahre wird Ludwigshafen als „eine der autofreundlichsten Städte“ beschrieben. Und heute steht der Hochstraßenabriss bevor, überall sind Baustellen und die Linie 10 lässt auf sich warten. Die Stadt ist im Umbruch, doch wie kann der gelingen? Etwa indem man die damit verbundenen Chancen nutzt: „Wir müssen einen besseren Verkehrs-Mix hinbekommen“, so Steinruck. Das ÖPNV-Angebot und Radwegenetz müsse ausgebaut, der Umstieg erleichtert werden. „Nicht alle Probleme sind aber auf Ludwigshafener Seite“, widersprach Uebel, der im Stadtrat am Thema „näher dran“ gewesen sei. So werde auch in Mannheim und an der A6 gebaut. Bei der Linie 10 habe die Stadt ihre Hausaufgaben gemacht, nun liege es am Land, Fördermittel freizugeben. Das stimme aber so nicht ganz, denn der Antrag wurde vor der Bürgerbeteiligung eingereicht. Die damit verbundenen Änderungen, und seien sie noch so sinnvoll, müssten jetzt neu genehmigt werden. Das koste Zeit, und der Fehler liege bei der Stadt, so Steinruck. hbg