„Es ist normal, verschieden zu sein“
Der Begriff Inklusion beziehungsweise inklusive Schulformen – behinderte Kinder gehen mit nichtbehinderten Kindern in ein Klasse – ist in der Zwischenzeit in aller Munde. Auch die Diesterwegschule im Lindenhof steht dieser Thematik offen gegenüber, auch wenn sie bisher noch keine Erfahrungen damit gesammelt hat, wie Konrektorin Dub auf Anfrage von Lindenhof aktuell erklärte. „Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen“, sagte sie. Früher oder später werde es in Sachen Inklusion in Schulen entsprechende Gesetze geben. Für die Lehrer der Lindenhöfer Grundschule heißt das zukünftig: Lehrgänge und Fortbildungen besuchen.
Inklusion stelle, so Mannheims Bildungsbürgermeisterin Dr. Ulrike Freundlieb Anfang Februar bei einem Pressegespräch, eines der wichtigsten Themen in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion dar. „Der Anspruch, allen Kindern mit individuellem oder besonderem Förderbedarf den Besuch von Regeleinrichtungen zu ermöglichen, löst grundsätzliche Zustimmung aus. Allerdings auch Befürchtungen.“ Dies sei unter anderem der Anlass für zum Teil kontrovers geführte Debatten.
Dennoch will die Stadt Mannheim nun ein Zeichen setzen und entschied sich, eine Aktion der Elterninitiative Rhein-Neckar zu unterstützen. Alle 214 Mannheimer Kindertageseinrichtungen erhalten orangefarbene Taschen – insgesamt werden tausend Stück verteilt. Die so genannten Inklusionstaschen beinhalten Infomaterial für Eltern und Erzieher, um das Thema „Inklusion in der Schule“ greifbarer zu machen. Denn das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung ist heutzutage noch nicht alltäglich.
Grund hierfür sei, laut Freundlieb mit Blick auf Baden-Würt-temberg, die feine Gliederung des Schulsystems, die mit einer selektiven und trennenden Systematik verhindere, dass behinderte und nicht behinderte Kinder eine gemeinsame schulische Laufbahn ansteuern können. Eine Trennung erfolge schon in der Grundschule. Förder- und Sonderschulen nehmen sich der Kinder mit Handicap an, wodurch diese aber unter Umständen den Kontakt zu den Nichtbehinderten verlieren und an gesellschaftliche Randbereiche gedrängt werden. „Damit verpassen wir auch, die Grundlage einer toleranten Gesellschaft, die Vielfalt als Chance auffasst, zu erweitern“, plädierte Freundlieb für eine Neuordnung des Schulsystems.
Kinder seien besonders offen, so die Bildungsbürgermeisterin weiter. Demnach ist der Schritt in Richtung Kindertageseinrichtungen richtig, wo Berührungsängste schnell abgebaut werden können oder von Beginn an gar nicht erst entstehen. Die Idee, die hinter diesen Inklusionstaschen steckt, erläuterte Kirsten Ehrhardt, Vorsitzende der Elterninitiative Rhein-Neckar, näher: „Wir wollen die Eltern erreichen und ihnen etwas an die Hand geben.“ Sie erhalten damit beispielsweise Infos über den derzeitigen Stand der Diskussionen, aber auch einen Liste mit Schulen in Mannheim, die inklusiv arbeiten. Ehrhardt selbst ist Mutter eines behinderten Kindes, weiß deshalb, wie positiv sich der Besuch einer Regelschule auswirken kann. „Es ist normal, verschieden zu sein“, so Ehrhardt. Deshalb hat sich die Elterninitiative mit dem Projekt „Inklusionstasche“ beim „Mannheimer Aktionsplan für Toleranz und Demokratie“ beworben, der sich im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ des Bundesfamilienministeriums bewegt.
Die Ausweitung inklusiver Schulangebote sei erwünscht und notwendig, so Freundlieb. „Die Anfragen seitens der Eltern gehen deutlich in die Höhe – insbesondere zum Zeitpunkt der Einschulung.“ Derzeit seien aber die Rahmenbedingungen nicht optimal, weder grundsätzlich, noch an einzelnen Schulen. Die Bürgermeisterin forderte auf, aktiv daran weiterzuarbeiten. Die Stadt Mannheim will ihr zufolge in den kommenden Jahren ein flächendeckendes, inklusives Schulangebot schaffen, mit dem ersten Etappenziel, jedem Kind mit besonderem Förderbedarf den Besuch einer wohnortnahen Schule zu ermöglichen. Damit fällt der Inklusionsschwerpunkt sichtlich in den Grundschulbereich.
Inklusion im schulischen Bereich, das wurde deutlich, ist ein steiniger und langwieriger Weg. Doch: „Das System ändert sich“, sagte Ulrike Freundlieb. Und Kirsten Ehrhardt fügte hinzu: „Wir befinden uns im Moment in einem Provisorium, mit dem wir leben müssen.“ Doch die Eltern sollten sich nicht abschrecken lassen. jm
i Näheres zur Elterninitiative Rhein-Neckar, die gegründet wurde, um Kindern mit Handicap ein Leben ohne Aussonderung zu ermöglichen, gibt es auf der Internetseite www.elterninitiative-rhein-neckar.de.