Mahnmal soll die Erinnerung wach halten

„Es ist ein Tag der Trauer und der Scham.“ Der Präsidentin des Amtsgerichts Mannheim, Gabriele Meister, fiel es schwer, Worte zu finden, um die Enthüllung eines Mahnmals für die Opfer der Zwangssterilisation während des Nationalsozialismus Anfang November einzuleiten. Es ist nun in der Bismarckstraße vor dem Gerichtsgebäude zu sehen – vorerst. Denn auch im Lindenhof wird das mobile Mahnmal in den nächsten Jahren stehen. Der Grund: Neben dem nicht mehr existierenden Heinrich-Lanz-Krankenhaus war auch das Diakonissenkrankenhaus, heute Diakoniekrankenhaus, an den Urteilsvollstreckungen beteiligt.

 Die Skulptur soll im jährlichen Wechsel an jenen Orten aufgestellt werden, die an den grausamen Taten aktiv beteiligt waren. Darunter fallen auch das Uniklinikum und der Fachbereich Gesundheit.Die Trauer, so Meister bei der Enthüllung weiter, basiere auf dem Mitgefühl für die Opfer, denen einst die Möglichkeit zur Gründung einer Familie vorenthalten wurde. Die Scham gründe sich auf der Tatsache, dass vor rund 80 Jahren auch in Mannheim eines von rund 200 so genannten Erbgesundheitsgerichten am heutigen Standort des Amtsgerichts einberufen wurde, welches die grausamen Urteile im Rahmen der NS-Rassengesetze gefällt hat. Daraufhin wurden allein in der Quadratestadt über 1000 Menschen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht. Insgesamt waren es circa 350000 Menschen.

Zu den Opfern zählten Frauen und Männer, die von einer „unsäglichen Allianz aus Ärzten und Richtern“, wie Meister es ausdrückte, beispielsweise als psychisch oder physisch krank, erblich schwachsinnig oder behindert abgestempelt wurden. In den Augen der Nationalsozialisten war es notwendig, deren Fortpflanzung zur Wahrung der Rassenhygiene zu unterbinden. Viele Eingriffe verliefen tödlich. Ein Großteil der Opfer litt oder leidet ein Leben lang körperlich oder geistig an den Folgen.

Meister betonte, dass die Bemühungen zur Aufarbeitung dieses schrecklichen Kapitels viel zu spät aufgenommen wurden. „Wir müssen die Erinnerung daran wach halten“ forderte sie. Das Mahnmal des Künstlers Michael Volkmer ist ein Baustein der Aufarbeitung. Initiiert wurde es vom Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim. Es stellt sich den Vorbeigehenden förmlich in den Weg. Denn es soll zum Nachdenken anregen. Volkmers Mahnmal, das wie ein großer Stapel aus etwa 1000 Würfeln aussieht, die zu einer homogenen, anonymen Masse verschmelzen, fällt daher schon von weitem auf. Jeder Würfel kann symbolisch für ein Einzelschicksal stehen, bei dem alle Ecken und Kanten abgeschliffen sind. Jedes „Anderssein“ wurde so nivelliert. Die Farbe erinnert an Krankenhäuser und Amtsstuben. Die glänzende Oberfläche wirkt kalt und zurückweisend. „Der Betrachter spiegelt sich schemenhaft darin und wird somit selbst Teil des Mahnmals – vielleicht wäre auch er damals involviert gewesen. Sei es als Opfer oder als Täter“, so der Künstler über seine Gedanken zum Mahnmal.

„Unsere Gesellschaft steht in der Pflicht, den letzten Zeitzeugen, ihren Angehörigen und ihren Anwälten Gehör zu schenken“, meinte Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz. In seiner Ansprache ging er auch auf die Täter ein, von denen nicht alle offiziell dem Nazi-Apparat angehörten, sondern die teilweise mitten aus der Bevölkerung selbst stammten: darunter Schulleiter, Ärzte oder Pfarrer, die die Opfer im Vorfeld durch eine Anzeige verraten hatten. „Man kann hier nicht von Schuldverdrängung sprechen“, so Kurz. Man habe schlicht und einfach keine Schuld empfunden. Derartiges Denken sei nicht erst mit der NS-Diktatur entstanden und habe mit ihr auch nicht geendet. Die Täter wurden laut Arbeitskreis-Mitgliedern nicht zur Rechenschaft gezogen, die Opfer bis 1980 aktiv und bewusst von jeglicher Wiedergutmachung ausgegrenzt. Bis 1988 galten die Urteile zur Zwangssterilisierung als rechtens.             jm

info: Der Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim ist eine Gruppe politisch engagierter Menschen, die auf lokaler Ebene zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur Nachkriegsgeschichte in Mannheim recherchieren. Das Erbgesundheitsgericht war damals aufgrund des ersten NS-Rassegesetzes, des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933, für die Anordnung der Zwangssterilisierungen maßgeblich verantwortlich. Das Ziel, das mit dem Gesetz verfolgt wurde, war „Rassenhygiene“ – die „Reinerhaltung der arischen Rasse“.